n unserem letzten Blog-Post wurde dargelegt, welche Modelle im Moment als Lösung für die Zeitungskrise getestet werden. Doch die Medienrevolution verändert nicht nur die Art des Angebots, sondern auch, was in unseren Köpfen stattfindet. Unsere Ansprüche verändern sich, und so wie wir eine Zeitung im Stil der 60er Jahre heute nicht mehr lesen würden, muss sich auch die Zeitung von morgen jetzt entwickeln. Doch was muss die Zeitung der Zukunft inhaltlich leisten, um gelesen zu werden? Wir zeigen einige Trends aus Sicht einer Mediaagentur.

Was Tageszeitungen über Jahre verkauften waren Rituale. Morgens las man die Zeitung und war für den Rest des Tages über das Neuste informiert. Zusätzlich kommentierten die (Chef-)Redaktoren die wichtigen Ereignisse und konnten so die öffentliche Meinung entscheidend mitbilden. In der heutigen Zeit stets verfügbarer und aktueller News und hervorragender Fachkommentare im Netz gehen diese Exklusivrechte verloren – und damit schwinden die Auflagen und Gewinnmargen der Verlage.
Mit folgenden fünf Rezepten können journalistische Publikationen jedoch auch in Zukunft erfolgreich sein.

1. Relevanz in der Werbung

Google hat uns in Sachen Werbung gelehrt, dass Relevanz enorm wichtig ist. Google und andere Werbeplatzverkäufer (zum Beispiel Real Time-Bidding-Anbieter) sammeln unsere Nutzerdaten umfassend und schneiden Werbebotschaften auf jeden Einzelnen zu – sowohl in Suchmaschinen als auch bei Display-Ads (also den Anzeigen auf Millionen von Websites auf der ganzen Welt).
Als ich vor kurzem beispielsweise Recherchen zum Thema Privatkredite machte, erschienen in den folgenden Tagen während des Surfens diverse Anzeigen zu diesem Thema auf meinem Browser. Aus Marketing-Sicht ist dies mehr als sinnvoll, denn ich hatte mich ja durch mein vorheriges Browser-Verhalten als interessierte und damit interessante Zielperson zu erkennen gegeben. Unbestritten: Manch einer fühlt sich von zu zielgenauer Werbung verfolgt. Doch aus Marketing-Sicht ist die Verringerung des Streuverlustes, die Königsdisziplin der Mediaplanung und ein Trend, der sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird.
Der Kauf der Washington Post durch den Amazon-Gründer Jeff Bezos weist in diese Richtung. Amazon ist weltweit führend, wenn es um Herstellung von Relevanz im Netz geht. News-Publikationen werden wohl schon bald Nutzerprofile ihrer User erstellen und dann anhand von IP-Adressen und Cookies massgeschneiderte Werbung ausliefern – gepaart mit hervorragendem Journalismus, der die Nutzerzahlen hochhält.
Das Potenzial ist immens, denn in diesem Bereich hinken die Schweizer Online-Angebote noch massiv den technologischen Möglichkeiten hinterher.

2. Freemium und Qualität

Frank Schirrmacher ist einer der renommiertesten Kritiker des Journalismus in den neuen Medien. Und in einem Punkt hat er absolut recht: Der sogenannte Google-Journalismus (also: das ungefilterte Kopieren von News) zieht momentan weite Kreise und zerstört das Vertrauen in Verlagspublikationen. Ein amüsant-erschreckendes Beispiel dafür ist der Bericht über den Herrn Professorin – eine Falschmeldung, die sich über weite Teile der deutschen Online-Journaille ungeprüft verbreitet hat.
Dabei sind Kunden bereit für guten Service zu zahlen, auch im Netz. So kann jeder über den Streaming-Dienst Spotify gratis Musik hören. Will man jedoch werbefreien, unbeschränkten und mobilen Zugang ist eine monatliche Gebühr fällig – ein Angebot, das bereits viele Kunden nutzen.
Dass Premium-Ansätze auch im Journalismus möglich sind, haben New York Times (zum Thema Schneesturm) und NZZ (Fukushima) mit glänzend aufbereiteten Digitalinhalten zu spezifischen Themen bereits bewiesen. Betrachtet man diese journalistischen „Kunstwerke“ und bedenkt, was mit den Browsern der Zukunft alles möglich sein wird, kann das Freemium-Modell durchaus eine Zukunft im Journalismus haben. Für das blosse Verbreiten von News und Meinungen wird in Zukunft jedoch kaum noch jemand Abo-Gebühren bezahlen.

3. Konkurrenzübergreifendes Arbeiten

Kooperation statt Konkurrenz und gemeinsame Wertschöpfung: In vielen Bereichen des Internets wird dieses Prinzip bereits gelebt. So ist beispielsweise Open Source-Ware aus dem Netz nicht mehr wegzudenken.
Das „Gärtchendenken“ im Journalismus sollte weichen. Verlage können in Zukunft eher darauf ausgerichtet sein Informationen zu ordnen, in Zusammenhänge zu bringen und individuell auf die Nutzer zuzuschneiden. Bei welchem Verlag der Artikel verfasst wurde, wird sekundär sein. Wichtig ist, dass der Verfasser ein Spezialist oder Szenekenner ist.
Verlage müssen ihre Synergien besser nutzen, Geschichten liquider machen und sie auf einzelne Nutzer abstimmen. Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Personalisierung der Inhalte ist der „Nachrichtendienst für Historiker“ (der leider im Moment vom unsäglichen deutschen Leistungsschutzrecht blockiert wird).

4. Der Blick über den Tellerrand

Der Journalismus hat den Wandel der Zeit bereits einmal verschlafen. Mit neuen Trends wie den 3D-Druckern oder dem „Internet der Dinge“ darf dies nicht noch einmal geschehen. Die Verlage müssen in die Synergien zu diesen Technologien von Anfang an investieren.
Illustrieren wir das am Beispiel „Internet der Dinge“: Gemäss Cisco werden im Jahr 2020 50 Milliarden Dinge einen Internetzugang haben. Die grosse Herausforderung im Hinblick auf die entstehenden Datenberge und Informationsflüsse wird es sein, diese zu organisieren, ergänzen, priorisieren und zugänglich zu machen. Nutzer (und damit Verlagskunden) werden in diesem riesigen Datenschwulst Orientierung von Gatekeepern benötigen. Und damit wird eine Kernaufgabe des Journalismus aufgenommen.

5. Personalisierung des Journalismus

Der klassische Journalismus lebte, wie bereits erwähnt, in erster Linie von Ritualen und Nicht-Enttäuschung. Das brachte Journalisten in die komfortable Lage, nicht mit jedem Artikel erfolgreich sein zu müssen. Während sich jeder Film oder jedes Buch immer aufs Neue beweisen muss, konnte sich der Journalist bis anhin hinter dem täglichen Zeitung-Lesen verstecken. Online-Medien richten ihre Inhalte jedoch auf User-Präferenzen aus. Das führt dazu, dass sich jeder einzelne Artikel sich aufs Neue beweisen muss.
Der deutsche Sportmoderator Frank Buschmann trägt dieser Entwicklung bereits Rechnung. Mit seinem sehr authentischen Social Media-Auftritt (auf dem er seine Follower auch mal kritisiert) hat er es innerhalb weniger Monate zum Facebook-Phänomen mit über 100’000 Likes gebracht. Nun plant Buschmann einen eigenen Youtube-Kanal („Buschi TV“) mit der finanziellen Unterstützung von Sony. Natürlich kann auch hier wieder die Unabhängigkeit des Journalisten in Frage gestellt werden. Doch das ist das Entscheidende: Nur ungefilterter, echter und authentischer Content wird in Zukunft Erfolg haben. Für Unternehmen wird es entscheidend sein, die journalistische Unabhängigkeit zu respektieren. Ansonsten verlieren die Inhalte ihren Wert und damit die Nutzer.
Für die Journalisten der Zukunft gilt: Einzigartigkeit, Authentizität, Fachkompetenz und ein persönlicher Brand sind die Eigenschaften zum Erfolg.

Fazit

Der Journalismus wird nicht sterben, sondern – im Gegenteil – wichtiger werden. Aber das Berufsbild wird sich verändern, wie das in allen Branchen im Lauf der Zeit der Fall ist. Das künftige journalistische Produkt wird keine einheitliche Zeitung mehr sein, sondern eine spezifisch informierte Öffentlichkeit. Verlage werden künftig Kommunikation ermöglichen statt Botschaften auszusenden. Sie werden zu Kommunikationsforen gesellschaftlicher Strömungen und Interessengruppen.